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Musik in 3 Minuten

Gong und Zither

 
   

Wohl jedes Volk auf der Welt macht Musik, doch mit Sicherheit hat kein anderes so viel über die Musik reflektiert wie das chinesische.

Blättert man in philosophischen Schriften, so stellt man fest, daß die Rolle der Musik ganz unterschiedlich beurteilt wurde, ja daß man sie für wichtig genug hielt, sie zum regelrechten Streitpunkt zu machen. So hat der Philosoph Xunzi (3. Jhdt. v. Chr.) ein ganzes Kapitel der Musik gewidmet, in dem er den Philosophen Mozi (etwa 5. Jhdt. v. Chr.) heftig wegen dessen Ablehnung der Musik angreift und ihn in etlichen Thesen zu widerlegen sucht. Sein engagiertes Plädoyer für die Musik als wichtigem Mittel zur Erziehung des einzelnen Menschen sowie als Mittel der Regierung, im ganzen Staate Frieden zu schaffen, ging ein in das Musikkapitel des "Buches der Riten", einem der Stützpfeiler der konfuzianischen Lehre. Mit der Etablierung des Konfuzianismus als Staatsreligion in der Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) wurde diese ethisch-moralische Aufgabe der Musik immer stärker untermauert.

Musik ging eine feste Verbindung mit den Riten ein und wurde so zu einer Grundlage der Staatsideologie. Die Ritualisierung der Musik ging so weit, daß nicht nur Anzahl und Art der zu zeremoniellen Anlässen verwendeten Musikinstrumente genau festgelegt war, sondern sogar dem Klang eines jeden Instruments eine bestimmte Auswirkung auf die menschliche Psyche zugeschrieben wurde. So hatte man die Musik unter Kontrolle, die, wie im "Klassiker der Kindespietät" geschrieben steht, das beste Mittel sei zur Veredelung der Sitten und Gebräuche. Doch, soviel über die Musik im konfuzianischen Schrifttum erzählt wird: In Wirklichkeit war das Wirkungsfeld dieser Musik, die doch so großen Einfluß auf das Volk haben sollte, auf einen ganz engen Raum beschränkt, nämlich auf den des Staatskults und der offiziellen Zeremonien.

Das Volk hatte an dieser Musik nicht den geringsten Anteil und hätte mit dem gewichtigen Überbau der konfuzianischen "Musiktherapie" wohl auch wenig anfangen können. Es ist daher nicht verwunderlich, daß im Volk eine ganz andere Art von Musik gemacht wurde. Auch der Kaiserhof selbst hatte durchaus Sinn für die Musik aus dem Volk. Schon während der Zhou-Zeit (1. Jh. bis 221 v. Chr.) gab es eine Institution, die mit der Aufgabe betraut war, Volksweisen aus den verschiedenen Lehensstaaten der Zhou zu sammeln und dem Herrscher zuzuführen. Diese Maßnahme, aus der wahrscheinlich das "Buch der Lieder" hervorgegangen ist, diente sicherlich nicht zuletzt zur Kontrolle der Stimmung des Volkes gegenüber dem Herrscherhaus, doch warum sollte der Herrscher daran nicht auch seine Freude gehabt haben? Dieser Gedanke liegt nahe, wenn man beispielsweise an die im "Buch der Riten" überlieferte Frage denkt, die der Markgraf Wen von Wei an Zixia, einen Schüler des Konfuzius, richtet: "Wenn ich bei den Zeremonien die Alte Musik anhöre, fürchte ich immer, einschlafen zu müssen. Bei den Klängen von Zheng und Wei dagegen kenne ich keine Müdigkeit. Können Sie mir erklären, warum das bei der Alten Musik so und bei der Neuen Musik ganz anders ist?".

Daraufhin wird der Markgraf belehrt, warum die Töne der Staaten Zheng und Wei, die zwar ebenfalls ins "Buch der Lieder" aufgenommen wurden, doch bei Konfuzius in Ungnade gefallen waren, nur dem Ohr gefällig, aber in ihrer Wirkung, unmoralisch seien, während die Zeremonialmusik erbaulich und darum zu bevorzugen sei. Aus dieser Episode kann man entnehmen, daß am Hof des Kaisers schon sehr früh neben der Zeremonialmusik auch andere Musik gepflegt worden sein muß. Der Han-Kaiser Wu richtete um das Jahr 140 v. Chr. das Musikamt ein. Dort wurde auch Musik nichtchinesischer Völker gesammelt und überarbeitet. Im religiösen Bereich gehörten anfangs auch noch die von der Dynastie Qin (221-207 v. Chr.) übernommenen Hymnen dazu. Unter der Qin-Dynastie wurde auch die Zheng, eine mit der japanischen Koto vergleichbare Zither, nach China eingeführt.

Im Laufe der Han-Zeit wurden die für Bankette und zur Unterhaltung des Kaisers eingesetzten Orchester immer größer und erreichten schließlich die stattliche Anzahl von über achthundert angestellten Musikern. Kein Wunder, daß angesichts dieses offensichtlichen Verstoßes gegen die konfuzianischen, Normen eine Gegenbewegung auf den Plan gerufen wurde. Im Zuge einer Rückbesinnung auf die Zhou-Zeit und deren Musik wurde zum einen das Musikamt Zug um Zug entschlackt, bis es schließlich im Jahr 7 v. Chr. ganz abgeschafft wurde. Außerdem kam innerhalb der Beamtenschicht immer mehr ein Instrument zu Ehren, das zum einen als authentisch chinesisches Instrument galt, und dessen Musik in der konfuzianischen Tradition besonders gelobt wurde: die Zither Qin.

Die Geschichte dieses Instrumentes, das zuvor neben der Zither Se in erster Linie zum Instrumentarium der Zeremonialmusik gehörte, aber auch im "Buch der Lieder" häufig erwähnt wird, nimmt ab dieser Zeit seinen eigenen Weg. Als das von den Literaten bevorzugt gespielte und noch lieber in Gedichten verherrlichte Instrument ist die Qin vom Bereich der Volksmusik deutlich unterschieden und noch heute in China kaum bekannt – im Gegensatz zu der häufig mit ihr verwechselten Zither Zheng.

In der Tang-Zeit nahm der Einfluß von außen in noch stärkerem Maße zu. Durch die Handelsbeziehungen, die China zu Zentralasien, Vietnam, Japan, Indien und Korea unterhielt, wurde die Hauptstadt Chang'an nicht nur zu einem wirtschaftlichen, sondern auch zu einem kulturellen Zentrum. Musiker aus fremden Ländern spielten am Kaiserhof, und der musikliebende Kaiser Xuanzong (847-859) gründete eine Musikschule, den "Birnengarten", wo Musiker unter anderem im Spiel fremdländischer Instrumente ausgebildet wurden.

Ein anderes Instrument, das von außen gekommen, aber vollständig ins Repertoire der chinesischen Volksmusik eingegangen ist, ist die Erhu, eine zweisaitige Geige mit röhrenförmigem Resonanzboden, bei der der Bogen in die Saiten eingespannt ist. Dieses Instrument soll im 13.Jhdt. von den Mongolen übernommen worden sein.

Im heutigen China ist die alte Zeremonialmusik so gut wie verschwunden. Zwar wird in Taiwan alljährlich einmal die sogenannte "Tempelmusik" zum Geburtstag des Konfuzius aufgeführt, doch eine zumindest der alten Musik ähnliche Form findet man heute nur noch in Japan und Korea. Dagegen erfreuen sich gerade die ursprünglich importierten Instrumente heute allgemeiner Beliebtheit. Natürlich hat China die fremde Musik, nicht einfach übernommen, sondern sie im Laufe der Zeit umgewandelt und ihr ein eigenes Gepräge verliehen. Diese wohl typische Eigenschaft der chinesischen Kultur wird auch in unserer Zeit wieder deutlich, in der ein starker musikalischer Einfluß aus dem Westen kommt. Die Chinesen sprechen gerne von einer Synthese zwischen der westlichen und östlichen Musik. Ob dieser Versuch gelingt, muß sich erst zeigen.

Dorothee Schaab-Hanke

 
publiziert in:
Chinawochen in Hamburg (hg. von Hans Stumpfeldt). Hamburg 1988, 44.