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"DINGE SEHEN, DIE MAN IN CHINA NICHT SEHEN KANN"

Rückblick auf die Konzertreise von Cheng Gongliang im Mai
 
   

Zwölfmal insgesamt hat Cheng bei Ortsvereinen der GDCF Konzerte auf der Qin gegeben. Jedesmal erwartete ihn eine neue Situation: die enttäuschende Erfahrung eines fast leeren Saales beim allerersten Mal in Offenbach (zum Glück blieb dies einmalig); der mit vornehmem Publikum gefüllte Hindemith-Saal der Alten Oper in Frankfurt; in Würzburg fand eines der meistbesuchten Konzerte statt, das sich auch durch das fachkundigste Publikum auszeichnete, da - angeführt von Prof. H. Steininger - fast das ganze sinologische Seminar erschienen war; in Karlsruhe spielte er in einem Kirchenraum, in Düsseldorf bei Neonbeleuchtung in einer Schule für chinesische Kinder; das Dortmunder Konzert fand gut gepolstert in einem Einrichtungshaus statt, das Bielefelder in den Räumlichkeiten des neuen Rathauses; dann war da noch die etwas verwirrende Afrika-Kulisse im Bremer Übersee-Museum, bei der das Publikum die schwierige Aufgabe einer Synthese von Palmen und Eingeborenenhütten mit den zarten Klagen der Qin-Musik zu bewältigen hatte; auch das Hamburger Konzert fand in einem Museum statt, zwar ohne Palme, dafür lenkten leider die ungeölten Sitze im dortigen Vortragssaal wohl einige Zuhörer von der Qin ab; Bad Segeberg war eine runde Sache: das Konzert fand in der ehemaligen Mühle statt - eine der gemütlichsten Konzertatmosphären; dann war da noch Berlin, ebenfalls Im Museum, wobei als besonderer Blickfang des Abends eine echte Vase aus der Ming-Zeit zu erwähnen ist, die der Leiter der Ostasienabteilung vom Völkerkundemuseum Dahlem extra aus einer der Vitrinen holte; den Abschluß bildete das neue Gasteig in München, dessen sehr schöne Konzertsaal-Atmosphäre leider etwas unter der Verkabelung des Bayrischen Rundfunks litt.

Soviel zum äußeren Rahmen. Cheng Gongliang stellte sich auf die jeweilige neue Umgebung mit stoischer Ruhe und viel gutem Willen ein. Selbst die Palmen konnten ihn nicht ablenken. Mit immer der gleichen faszinierenden Konzentration und Virtuosität spielte er seine beiden mitgebrachten Instrumente. Was er selbst immer wieder lobend hervorhob, war die Stille, die Spielen ohne Mikrophon ermöglichte. Er sagte, aus China sei er solche Ruhe im Publikum kaum gewöhnt, zumal manche Leute nicht einmal im Konzertsaal mit der beliebten Beschäftigung des Sonnenblumenkernknackens aufhören.

Die Begegnung mit Cheng Gongliang und der Qin-Musik war - die Reaktionen vieler Zuhörer zeigten dies - ungewohnt und faszinierend. Den meisten war die Musik fremd und es dauerte erst einige Zeit, bis sie sich in diese tonale Welt eingestimmt hatten. Es gab Leute, die nach dem Konzert kamen und sagten, sie hätten das Gefühl, die Musik sei ihnen unmittelbar vertraut gewesen, obwohl sie sicher seien, sie hätten sie noch nie zuvor gehört. Und ein chinesisches Paar war da, das Cheng nachreiste, nur um seine Musik noch einmal hören zu können. Das Gegenstück dazu: einer, der noch während des Konzerts den Raum verließ, die Zigarette bereits in der Hand.

Für Cheng, der nicht nur zum ersten Mal in Deutschland, sondern überhaupt in einem Land außerhalb von China war, spielte sich natürlich eine ganz wichtige Begegnung außerhalb der Konzerte ab: die Begegnung mit Deutschland, mit "den Deutschen". So wurde ihm selber im Laufe dieser Reise immer klarer, daß die vielen einzelnen Subjekte den Stereotypen, wie man sie vor einer persönlichen Bekanntschaft mit einem anderen Land mit sich herumträgt, so gar nicht entsprechen. Weil Cheng ausgesprochen aufgeschlossen für solche Erfahrungen war - sein Motto: Dinge sehen, die man in China nicht sehen kann - konnte ihm auch in dieser Hinsicht von Seiten der Ortsvereine einiges geboten werden. Einige Höhepunkte, von denen Cheng noch oft sprach, seien erwähnt: da war der Besuch einer echten deutschen Disco in Karlsruhe, den Cheng sich gewünscht hatte, um sich zu vergewissern, ob sie bei uns tatsächlich nicht denselben anrüchigen Beigeschmack hat wie in China; da war die Gastgeberin in Düsseldorf, die in Tiere so vernarrt war, daß nicht nur ein riesiger Hund und ein Papagei das Haus bevölkerten, sondern jeder Vorhang und jedes Handtuch mit Tiermotiven bedruckt waren. Da Cheng auch in vielen anderen Häusern Tiere sah, kam er zu dem Schluß, daß "die Deutschen" wohl Tiere mehr lieben als Kinder. In Dortmund hatte Cheng Gelegenheit, in einem Sole-Schwimmbad zu schwimmen. Ihm fiel auf, daß hauptsächlich ältere Menschen in dem Schwimmbad waren und wünschte sich, seine alten Eltern könnten auch in den Genuß eines so herrlich warmen Sprudelbades kommen. Überhaupt äußerte er sehr oft bei Dingen, die ihm gefielen, er hoffe so, daß China auch bald dieses Stadium erreichen werde. Dazu gehören natürlich auch Autos. Übrigens fiel Cheng positiv auf, wie viel rücksichtsvoller deutsche Autofahrer gegenüber Fußgängern seien als chinesische. Auch in Hamburg wurden Cheng Dinge geboten, die er in China noch nicht erlebt hatte. So z.B. eine Segelpartie auf der Außenalster, bei der Cheng sich - wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahren habe - als sehr geschickt erwies. Stadtbe sichtigungen waren in einigen Städten auf dem Programm. Besonders gerne erinnerte sich Cheng an die Rundfahrt durch Berlin in dem schwarzen Mercedes vom Senat. Nach einer Zwischenstation am Grunewaldturm kriegte er vom Rest der Fahrt allerdings nicht mehr viel mit. Er hatte sich nämlich zu einer Berliner Weißen verführen lassen, und nachdem er diese auch noch mit Strohhalm getrunken hatte, verbrachte er die weitere Fahrt im sonnengeheizten Wagen schnarchend auf dem Rücksitz. Dann war da noch München, wo wir unter anderem das Olympia-Zentrum besichtigten und Cheng schwindlig wurde, als er in das Stadion blickte. Lachend meinte er dann zu mir, wie viele Male er wohl in Deutschland Konzerte geben müßte, um etwa halb soviel Zuschauer zusammenzubekommen wie die Fußballspieler bei einem einzigen Mal. Und - last but not least - ist da noch unsere Fahrt mit der Geisterbahn zu erwähnen, die Cheng überhaupt nicht erschrecken konnte, ihn aber auf die Idee brachte, die Deutschen würden wohl noch an Geister glauben. Die Geisterbahn bildete gewissermaßen den Auftakt unserer Reise, da wir an dem ersten Tag zufällig auf einen Jahrmarkt gerieten. Sie sollte sich allerdings nicht als schlechtes Omen erweisen - böse Geister waren auf den weiteren Etappen der Reise nicht im Wege.

Insgesamt war es eine sehr gelungene Reise, bei der vielleicht gerade der etwas improvisatorische Charakter einen besonderen Reiz hatte. Für Cheng war diese erste Einladung ins Ausland ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere als Musiker. Erste Folge dieser Reise ist bereits die anschließende Einladung nach Hongkong, wo Cheng ebenfalls konzertiert hat und darüber hinaus eine Musikkassetten-Produktion in die Wege geleitet wurde. Danach wurde Cheng noch für mehrere Wochen in Shanghai aufgehalten, wo er von verschiedenen Musikinstituten gebeten wurde, Vorträge über Qin-Musik und seine Erfahrungen in Deutschland zu halten. Wer weiß, vielleicht folgt als nächstes eine Einladung und möglicherweise kommt er ja auch mal wieder nach Deutschland!

Dorothee Schaab

 
publiziert in:
Rundbrief der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft GDCF
Ortsverein Hamburg e.V.
(1986.2), 11-13.